Im Klassenzimmer der 10a herrschte absolute Stille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Alle Schülerinnen lauschten gebannt Ruth Melcer, die im April 1945 aus dem Konzentrationslager Auschwitz befreit worden ist. Das Gespräch hatte online stattgefunden und war anlässlich des 9. Novembers, des 85-jährigen Gedenken an die sogenannte Pogromnacht, von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert worden.
Ich war neun Jahre alt, als ich befreit worden bin – richtig alt.
Ruth Melcer
Über 150 Schulklassen aus ganz Bayern waren mit dazugeschaltet. Frau Melcer erreichte also eine große Zahl junger Menschen, die derzeit selbst miterleben, wie der Antisemitismus in Deutschland wieder sichtbar wird. Wieder haben Jüdinnen und Juden Angst.
Vier Jahre war Ruth alt, als die Wehrmacht Polen überfiel. Damit endete ihre Kindheit, kurz nachdem sie begonnen hatte. Zunächst konnte die Familie fliehen, doch nach einem Leben im Ghetto wartete das Arbeitslager und wenig später das Vernichtungslager Ausschwitz. Nur mit Hilfe anderer Gefangener konnte sich Ruth vor den SS-Soldaten verstecken und notdürftig mit Nahrungsmitteln, die ohnehin knapp waren, versorgt werden. So blieb sie am Leben und viel nicht dem berüchtigten Joseph Mengele in die Hände.
Nur durch die Beschäftigung mit der Vergangenheit kann die Gegenwart verstanden, können komplexe Sachverhalte durchdrungen und andere Sichtweisen nachvollzogen werden. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden.